Nach dem zweiten Lockdown dürfen nun Einkaufszentren wieder öffnen. Voller Euphorie werden sie sonst von den Menschen in der Vorweihnachtszeit besucht. Die Hygienebestimmungen sind weiterhin streng und Reinigungsarbeiten müssen in den Einkaufshallen regelmäßig durchgeführt werden. Nasse Schuhe und feucht gereinigte Böden – das Sturzrisiko ist erhöht. Doch wer haftet, wenn man als Kunde im Einkaufszentrum unglücklich ausrutscht? Wie sieht es mit den Verkehrssicherungspflichten aus? Macht es einen Unterschied, ob man die Rutschgefahr erkennt, oder nicht?
Mit folgendem Sachverhalt befasste sich der Oberste Gerichtshof (OGH) unlängst:
In einem Einkaufszentrum kam die Klägerin beim Betreten eines Aufzugs zum Sturz, wobei die Vorhalle ausreichend mit künstlichem Licht ausgeleuchtet war. Die Reinigung der Vorhalle erfolgt jeden Morgen maschinell, wobei jene Teile, welche die Reinigungsmaschine nicht erreichen kann, manuell gesäubert werden. Das ist auch an jenem Tag geschehen. Das Einkaufszentrum wird von der Beklagten betrieben, welche die Nebenintervenientin mit der gesamten Reinigung beauftragt hat. Vorschriftsgemäß soll noch vor Beginn jeder Reinigung eine gelbe Warntafel, auf der auf die Rutschgefahr aufmerksam gemacht wird, aufgestellt werden. Ob diese am besagten Tag aufgestellt wurde, konnte nicht festgestellt werden. Jedenfalls rutschte die Klägerin im noch feuchten Bodenbereich aus und erlitt dadurch einen Bruch der linken Speiche am körperfernen Ende mit einem Abbruch des Ellengriffels. Sie verlangte daraufhin die Zahlung von Schmerzengeld sowie sämtliche Unkosten und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Dauer- und Spätfolgen des Sturzes. Die Beklagte habe ihr obliegende Verkehrssicherungs- sowie vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt. Sie hätte die Arbeit ihrer Angestellten (der Nebenintervenientin) außerdem kontrollieren müssen. Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Rutschgefahr für die Klägerin leicht erkennbar war. Die Nebenintervenientin brachte vor, dass sie die Reinigungsarbeiten durch zuverlässiges und geschultes Personal vertragskonform ausgeführt habe. Sämtliche Flächen seien regelmäßig kontrolliert und alle erforderlichen Absicherungsmaßnahmen ergriffen worden.
Rechtliche Beurteilung
Voraussetzung für das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht ist eine vom Sicherungspflichtigen geschaffene oder ihm zurechenbare Gefahrenquelle. Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist vor allem, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind.
Damit es zu einer Haftung kommt, hat der Geschädigte die Sorgfaltsverletzung und die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden zu beweisen. Bei Nichtfeststellbarkeit eines objektiv vertragswidrigen Verhaltens des Schädigers ist die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB aber auch bereits dann anwendbar, wenn der Geschädigte beweist, dass nach aller Erfahrung die Schadensentstehung auf ein wenigstens objektiv fehlerhaftes (vertragswidriges) Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch ein aufgrund von Nässe rutschiger Boden als objektiv sorgfaltswidriger Zustand, abhängig von den konkreten Umständen, ein objektiv fehlerhaftes Verhalten indizieren und damit einen Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB bilden kann. Im Anlassfall war der Boden noch „etwas rutschig“, wobei die Klägerin im „noch feuchten Bodenbereich“ vor dem Liftzugang zum Sturz kam. Ihr fiel die Gefahr nicht auf. Ob eine Erkennbarkeit der Rutschgefahr objektiv gegeben war, konnte nicht eindeutig bejaht werden, weil nicht festgestellt wurde, ob an jenem Tag tatsächlich eine Warntafel aufgestellt war. Daher wurde der Nebenintervenientin (Reinigungsfirma) im konkreten Fall eine Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten vorgeworfen (veröffentlicht in OGH 10 Ob 32/20h).
Fazit: Voraussetzung für das Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht ist eine vom Sicherungspflichtigen geschaffene oder ihm zurechenbare Gefahrenquelle. Damit es zu einer Haftung kommt, hat der Geschädigte die Sorgfaltsverletzung und die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden zu beweisen. Juristischer Rat ist von Vorteil, denn es ist nicht immer leicht erkennbar, welcher objektiv sorgfaltswidrige Zustand auch ein objektiv fehlerhaftes Verhalten begründet und zur Beweislastumkehr des § 1298 ABGB führt. Ein aufgrund von Nässe rutschiger Boden ist laut Rechtsprechung, abhängig von den konkreten Umständen, jedenfalls Indiz und Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr.
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