Benötigt jemand einen Termin beim Augenarzt, ist naheliegend, dass der Patient (sehr) schlecht sehen kann bzw. Probleme mit den Augen hat. Kommt es im Gebäude der Arztpraxis zum Sturz, stellt sich die Frage ob und inwieweit der Mediziner dafür sorgen muss, dass seine Patienten nicht sehenden (oder weniger sehenden) Auges in ihr Unglück laufen?

Diese Frage gelangte unlängst bis vor das Höchstgericht, womit der Oberste Gerichtshof (OGH) zu klären hatte, ob eine Patientin Schadenersatz von ihrem Arzt begehren kann, wenn sie im Haus des praktizierenden Mediziners über eine schwer erkennbare Stufe stürzt und sich dabei verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass aus einem bestehenden Behandlungsvertrag Schutz- und Sorgfaltspflichten des Arztes gegenüber seiner Parienten resultieren. Das bedeutet, dass ein Mediziner grundsätzlich für die gefahrlose Benützung des Zu- und Abgangs zu und von der Ordination sorgen und die Patienten vor im Stiegenhaus drohenden Gefahren schützen muss, soweit ihm diese unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar waren. Wegen der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten ist auch jeder Hauseigentümer verpflichtet, Gänge, Treppen oder Teile des Hauses, die zur ordnungsgemäßen Benützung erforderlich sind, in einem gefahrlosen Zustand zu erhalten. Dabei geht es insbesondere um den Schutz von Personen, die ein öffentlich zugängliches Gebäude betreten, das ihnen noch nicht vertraut ist.

Um eine Verkehrssicherungspflicht annehmen zu können, muss eine Gefahrenquelle bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar sein. Gefordert wird eine verkehrsübliche Aufmerksamkeit, wobei die notwendige Sorgfalt auch nicht überspannt werden darf. Dem OGH zufolge liegt die Grenze in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Ob im konkreten Fall alles Zumutbare zur Verhütung der Gefahren der vorliegenden Art getan wurde, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Eine einzelne Stufe, die eine sonst ebene Fläche unterbricht, sich optisch nicht abhebt und sich zudem an einer nicht gut ausgeleuchteten Stelle befindet, ist für hausfremde Personen nicht leicht zu erkennen. In einem solchen Fall besteht nach Ansicht des Gerichtshofs eine erhöhte Sturzgefahr, vor allem, wenn es sich um ein Gebäude handelt, das von Menschen mit Augenproblemen aufgesucht wird. Es ist davon auszugehen, dass eine solche Gefahrenquelle für den praktizierenden Arzt, der mit dem Gebäude vertraut ist, erkennbar und mit einfachen Abwehrmaßnahmen (farbliche Bodenmarkierung…) zu beseitigen ist. Der Arzt verletzt daher, wenn er untätig bleibt, seine vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten. Daneben verletzt auch der Hauseigentümer seine allgemeinen Verkehrssicherungspflichten.

Der OGH nahm auch zur Frage Stellung, ob der Patientin Mitverschulden anzulasten ist, wenn sie sich trotz Augenproblemen nicht bei ihrer Begleitperson eingehängt und die Arztpraxis schon mehrmals aufgesucht hatte. Doch die überwiegende Schuld am Unglück lag an den mangelnden Sicherheitsvorkehrungen im Haus (veröffentlicht in OGH 7 Ob 215/20y).

Fazit: Ein Arzt muss dafür sorgen, dass seine Patienten gefahrlos zu ihm und wieder hinausfinden. Das resultiert aus seinen vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten. Auch ein Hauseigentümer hat Stufen, die eine Gefahrenquelle für Fremde darstellen, so abzusichern, dass es zu keinen Unfällen kommt. Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich vor allem danach, in welchem Maß der Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen kann. Da es bei solchen Haftungsangelegenheiten letztlich auf den Einzelfall ankommt, beraten wir Sie gerne in Zusammenhang mit Schadenersatz sowie Schutz-, Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten.

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